Rohfaser ist einer der zentralen Bausteine in der Pferdefütterung – und gleichzeitig oft unterschätzt. Sie stellt nicht nur den wichtigsten Energielieferanten für das Pferd dar, sondern ist auch unverzichtbar für die Verdauung, die Darmgesundheit und das Wohlbefinden. Während über Mineralstoffe, Vitamine oder Eiweiß viel diskutiert wird, wird die Bedeutung der Rohfaser häufig erst dann bewusst, wenn Defizite auftreten – etwa in Form von Verdauungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Stoffwechselproblemen.
Im Folgenden werfen wir einen detaillierten Blick auf die Rolle der Rohfaser, ihre Quellen, ihren Bedarf und die Konsequenzen einer Unterversorgung.

Was versteht man unter Rohfaser?
Der Begriff „Rohfaser“ stammt aus der Futteranalytik. Er beschreibt die schwer verdaulichen Bestandteile pflanzlicher Zellwände wie Cellulose, Hemicellulose und Lignin. Pferde können diese Stoffe nicht direkt verdauen – dafür sind spezielle Mikroorganismen im Dickdarm und Blinddarm verantwortlich. Dort wird die Rohfaser durch mikrobielle Fermentation aufgeschlossen und in kurzkettige Fettsäuren (v. a. Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure) umgewandelt. Diese dienen dem Pferd als wichtigste und zugleich sehr verträgliche Energiequelle.
Im Gegensatz zu hochkonzentrierten Futtermitteln wie Getreide ist Rohfaser ein langsamer Energielieferant, der nicht zu Blutzuckerschwankungen oder Übersäuerung des Magens führt.
Funktionen der Rohfaser im Pferdeorganismus
Rohfaser erfüllt im Pferd mehrere entscheidende Aufgaben:
Energieversorgung
Die mikrobielle Fermentation liefert kontinuierlich Energie in Form von Fettsäuren. Damit ist Rohfaser die physiologisch wichtigste Energiequelle – nicht Stärke aus Getreide.
Darmgesundheit
Eine rohfaserreiche Ration fördert die Ansiedlung einer stabilen Darmflora und verhindert Fehlgärungen. Sie senkt das Risiko von Koliken, Durchfall und Gasbildung.
Kauverhalten und Speichelbildung
Grobfaserige Futtermittel regen intensives Kauen an. Dadurch entsteht Speichel, der die Magensäure puffert und Magengeschwüren vorbeugt.
Sättigung und Wohlbefinden
Pferde sind Dauerfresser. Nur rohfaserreiche Rationen stillen dieses Bedürfnis, verhindern Stress und ungewünschte Verhaltensweisen wie Koppen oder Weben.
Thermoregulation
Die Fermentation der Rohfaser erzeugt Wärme – wichtig gerade in der kalten Jahreszeit.

Bedarf an Rohfaser
Die Fütterung sollte sich immer am natürlichen Fressverhalten orientieren: Ein Pferd nimmt in freier Wildbahn täglich 14–18 Stunden lang strukturreiche Gräser und Kräuter auf.
In der Praxis bedeutet das:
Mindestmenge Heu: 1,5 kg Heu pro 100 kg Körpergewicht täglich (also ca. 7,5 kg für ein 500 kg Pferd).
Besser: 2 kg Heu pro 100 kg Körpergewicht, wenn keine Weide zur Verfügung steht.
Weidegang: Frisches Gras kann Heu teilweise ersetzen, ist jedoch jahreszeitlich schwankend und oft rohfaserärmer als Heu.
Besonders wichtig: Die Versorgung muss kontinuierlich erfolgen. Längere Fresspausen von mehr als 4 Stunden sollten unbedingt vermieden werden, da sie Verdauung und Psyche belasten.
Typische Rohfaserquellen in der Pferdefütterung
- Heu: Das Basisfutter schlechthin, reich an Rohfaser und Struktur. Qualität entscheidet über Verdaulichkeit und Nährstoffgehalt.
- Gras/Weide: Saisonale Quelle, frisch, aber oft zu energiereich bei gleichzeitig geringer Rohfaser (frühe Schnitte).
- Stroh: Klassischer Faserlieferant, aber energiereichere Futtermittel müssen ergänzend gefüttert werden. Achtung bei zu großen Mengen – Kolikgefahr!
- Luzerne: Hochwertige Protein- und Rohfaserquelle, besonders wertvoll für Sport- und Zuchtpferde.
- Presskuchen (Lein, Hanf, Sonnenblume): Neben Protein auch rohfaserreich, fördern eine gesunde Verdauung.
- ungezuckerte Rübenschnitzel: Gute Faserquelle, allerdings immer eingeweicht verfüttern.
Zur Aufwertung der Ration eignen sich strukturreiche Futtermittel aus unserem Sortiment.
Folgen von Rohfaserdefizit
Eine unzureichende Versorgung mit Rohfaser hat weitreichende Konsequenzen:
- Verdauungsprobleme wie Durchfall, Kotwasser oder Verstopfungskoliken
- Magengeschwüre durch fehlende Pufferung der Magensäure
- Dysbiosen im Darm (Fehlbesiedelung mit „falschen“ Bakterien)
- Übersäuerung und daraus resultierende Hufrehe
- Verhaltensstörungen durch Stress und Langeweile
- Gewichtsverlust oder schlechte Bemuskelung trotz energiereicher Rationen
Kurz gesagt: Ohne ausreichend Rohfaser ist keine gesunde Pferdefütterung möglich.

Historischer Exkurs: Was die Kriegszeiten lehren
Die entscheidende Rolle der Rohfaser zeigt sich auch in der Geschichte. Schon im Mittelalter und bis in die Weltkriege hinein wurden Militärpferde vor allem mit Getreide gefüttert, um kurzfristig Kraft für die schweren Belastungen im Einsatz zu liefern. Heu und Stroh waren oft knapp oder schwer zu transportieren.
Die Folgen waren dramatisch: Trotz reichlicher Getreiderationen starben unzählige Pferde an Koliken, Magengeschwüren oder Hufrehe – klassische Symptome einer rohfaserarmen Ernährung. Für die Heeresleitungen war dies ein schmerzhafter, aber wichtiger Lernprozess: Ohne Raufutter kann kein Pferd leistungsfähig bleiben.
Praktische Tipps für die Fütterung
- Heu-Qualität prüfen – frei von Schimmel, staubarm, nicht zu spät geerntet.
- Langsames Fressen ermöglichen – durch engmaschige Heunetze oder Raufen.
- Raufutter vor Kraftfutter – erst Rohfaser, dann konzentrierte Energiequellen.
- Individuelle Anpassung – Senioren, Sportpferde oder rehegefährdete Pferde haben unterschiedliche Ansprüche.
- Abwechslung bieten – Kombination aus Heu, Luzerne, Stroh, Kräutern und Presskuchen sorgt für Vielfalt und stabile Verdauung.
Fazit
Rohfaser ist das Fundament jeder Pferderation. Sie versorgt das Pferd nicht nur mit Energie, sondern hält auch den gesamten Verdauungstrakt im Gleichgewicht, schützt vor Erkrankungen und sorgt für Wohlbefinden. Wer auf eine ausreichende und qualitativ hochwertige Rohfaserzufuhr achtet, legt den Grundstein für ein gesundes, leistungsbereites und zufriedenes Pferd.
Eine einfache Faustregel: Ohne Raufutter kein gesundes Pferd.